Die Pandemie, so scheint es, haben wir mittlerweile hinter uns gelassen, haben unser altes Leben zurück. Zumindest war das, was offenbar die meisten wollten. Wieder so weiter machen, wie zuvor. Verständlich einerseits, befremdlich andererseits. Müssten wir uns denn nicht viel mehr fragen, inwiefern unser bisheriges Leben, unsere bisherige Lebensweise dazu beigetragen hat, dass eine solche verheerende Pandemie überhaupt zustande kommen konnte? Haben wir also offenbar die Chance, die ja in jeder Krise liegt, nicht genutzt, sie gar nicht als solche erkannt?
Die Krise, und sie ist ja abgelöst worden durch eine andere, hat auf der einen Seite viel Solidarität ausgelöst, auf der anderen Seite aber mindestens genauso viel Trennendes und erhebliche zusätzliche Konflikte.
An dieser ganzen Thematik, trat die bekannte Kluft zwischen Schulmedizin und Komplementär-Medizin besonders deutlich zu Tage. Während die STIKO rasch die Impfung für praktisch alle Erwachsenen empfahl, wurde das in der Komplementärmedizin und in esoterischen Kreisen, wie z.B. auch der Anthroposophie vehement abgelehnt. Hier prallten Welten aufeinander. Das vor allem deshalb, weil hier nicht mehr wie bei anderen Erkrankungen allein die persönliche Entscheidung oder Vorliebe maßgebend war, sondern der soziale gesellschaftliche Aspekt in den Vordergrund trat. Stichwort: Herdenimmunität.
Für mich als Schulmediziner stand dabei immer außer Frage, dass es Corona wirklich gibt und Menschen daran schwer krank werden und sterben können. Wer anderes behauptet (hat), lügt oder ignoriert schlicht die Wahrheit und verhält sich zynisch gegenüber den Opfern und damit sind nicht nur die vielen Millionen Toten weltweit gemeint. Insofern war auch die Impfung ein Segen und hat sicher sehr viele, wenn auch nicht vor Infektionen, so aber vor schweren Verläufen bewahrt. Das ging naturgemäß nicht ohne Nebenwirkungen ab, die im Einzelfalle auch gravierend sein konnten und den ein oder anderen nachvollziehbar skeptisch werden ließ. Das ist nicht anders bei jedem Medikament. Es hilft den meisten, bei einigen kann es aber teilweise auch zu gravierenden NW kommen. Deswegen würde wohl niemand auf die Idee kommen, generell Medikamente zu verbieten oder zu verweigern.
Immer wieder erlebe ich mich als Mittler zwischen den Welten oder auch zwischen den Welten /Stühlen sitzend. Auf einem medizinisch wissenschaftlichen Kongress bin ich oft entsetzt über die Engstirnigkeit mit der aufgrund von z.T. fragwürdigen Daten und Fakten, auf eine anscheinend unumgängliche, alternativlose Therapie geschlossen und diese vehement eingefordert wird. Andererseits befremdet mich oft die Ignoranz gegenüber eindeutigen Fakten (meine Kollegen und ich haben sehr viele Menschen an und durch Corona sterben sehen), von Menschen, bevorzugt aus esoterischen Kreisen, die solches nicht gesehen und erlebt haben und deswegen rundweg behaupten, dass es das somit auch nicht gebe.
Ziel der Stiftung ist es ja solchen Diskrepanzen und Widersprüchen bis hin zur Feindschaft irgendwie entgegenzutreten, ihnen etwas entgegenzusetzen, was vielleicht zu einer gemeinsamen und besseren Lösung führt. Dabei fällt mir der von mir sehr verehrte Zen-Meister Thich Nhat Hanh ein, der während des Vietnamkrieges sich weigerte für eine Seite Partei zu ergreifen und stattdessen konsequent für Frieden eintrat. Ihm brachte es dann das Exil ein, wo er später mehrere spirituelle Zentren gründete, die nach diesen Prinzipien leben und arbeiten.
Ich verweise deswegen gerne auf meine spirituellen Lehrer, die ich in meinem Vortrag bei der ersten Veranstaltung im November ausdrücklich erwähnt und gewürdigt habe, und die sich alle auf ihre Weise für Freiheit, Entwicklung und das alle Verbindende, etwas pathetisch ausgedrückt, für Liebe engagiert haben.
Die Grundlage des von Walther Lechler, einem konventionell ausgebildeten Psychiater, gegründeten Herrenalber Modells im Form einer psychosomatischen Klinik, war das 12-Stufen-Programm der Anonymen Alkoholiker (AA). Ein sehr praktisches, realitätsnahes, spirituelles Programm, das in der Folge tausenden von Alkoholikern den Weg aus der Sucht geebnet hat, genau wie die besagte Klinik das auch Menschen mit anderen Problemen ermöglicht hat nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Auf ihn geht auch der wunderbare Ausdruck „Ansteckende Gesundheit“ zurück.
Beide habe ich persönlich kennengelernt, ihnen vieles zu verdanken und fühle mich als Teil dieser Bewegung und Gemeinschaft.
Auch der von mir sehr geschätzte Bernard Lown, ein Fachkollege, klassisch ausgebildet und mit bahnbrechenden Erfindungen in der Kardiologie, war nie nur Wissenschaftler, sondern vor allem Arzt. D.h. er verstand seine Aufgabe darin, den Menschen als Ganzes wahrzunehmen und zu behandeln und sah darüber als Gründer der IPPNW (Ärzte gegen Atomkrieg) auch eine große soziale Verantwortung als Arzt. Für dies Initiative bekam er zurecht den Friedensnobelpreis.
Das Vermächtnis dieser Drei ist eine zeitlose Botschaft. Sie zu ehren und weiterzutragen, erscheint mir damit als meine wichtigste Aufgabe, zu der diese Stiftung beitragen soll.
Die erwähnte Veranstaltung im vergangenen November war ein erster kleiner Schritt dahin, so wie die finanzielle Unterstützung von mehreren Projekten und Institutionen, die ähnliche Ziele verfolgen. Dazu gehört auch der „Dottenfelder Hof“ in Bad Vilbel, der seit vielen Jahren konsequent biologisch-dynamische Landwirtschaft betreibt und damit auf seine Weise einen Beitrag zum Umweltschutz und zur individuellen und planetaren Gesundheit leistet. Es lag deshalb nahe, die nächste Veranstaltung der Stiftung dort stattfinden zu lassen. Ein guter Ort um die Zusammenhänge zwischen Medizin und Ökologie, zwischen individueller und planetarer Gesundheit zu veranschaulichen (Datum wird zeitnah bekannt gegeben).
31.1.2023
Dr. med. Harald Reinemer